Scheitern und Verbindlichkeiten fühlen sich wie ein tonnenschwerer Rucksack der Schuld an. Man ist wie gelähmt, kann kaum atmen. Die leeren Taschen voller Scham, wünscht man sich nur noch, unsichtbar zu sein oder verschwinden zu können. Eine dunkle Zeit in meinem Leben. Neben den realen existenziellen Sorgen, wie dem Einkaufen von Lebensmitteln, dem Zahlen der Miete oder der Krankenversicherung, gibt es eine weitere Komponente, die einen unerwartet trifft: Der gesellschaftliche Druck. Das Verständnis für die eigenen Nöte ist begrenzt. Menschen nehmen Abstand, als sei Misserfolg ansteckend oder anstößig. Der Makel des geschäftlichen Scheiterns, haftet unerbittlich leuchtend an der Haut. Dass man etwas falsch oder gar Verbotenes gemacht habe, wird häufig pauschal vermutet. Häme und Schadenfreude schwingen ebenso oft mit.
Wie kam ich in diese Situation? Nachdem ich mich sehr jung selbstständig gemacht hatte und mit meinem ersten Unternehmen viel zu schnell gewachsen bin, kam nach einigen Jahren des stetigen Erfolgs, der tiefe Fall in die Fast-Pleite. Vor allem auch durch die Tücken der Rechtsform GbR: Wenn sich der Geschäftspartner plötzlich weigert, die gemeinsam gezeichneten Verträge zu bedienen, steht man allein vor dem Berg und in der Pflicht. Gesamtschuldnerische Haftung war für mich nicht länger eine Klausel auf dem Papier, sondern knallharte Realität.
Einer meiner prägenden Schlüsselmomente war beim Wirtschaftsprüfer. Ich war nach langem Ringen am Tiefpunkt angelangt und mit dem Vorhaben dorthin gegangen, Insolvenz anzumelden, um diesen enormen Druck von Gläubigern und Verbindlichkeiten loszuwerden. Doch es kam ganz anders. Er hat sich alles angehört, sich meine Liste der laufenden Verträge und Verbindlichkeiten angeschaut, klappte die Kladde zu und sagte: „Sie wollen doch in Ihrem Leben noch was erreichen und weiter geschäftlich tätig sein? Sie sind kein Typ für eine Insolvenz. Und Sie würden sich alles verbauen. Zahlen Sie die Riesensumme ab, sie schaffen das!“
Das alles ist über zehn Jahre her.
Und er hatte Recht, ich habe es geschafft. Mit sehr viel Fleiß und Verzicht, rackerte ich die beachtliche Summe ab, bediente nach und nach alle Verträge und überwies schließlich die letzte Rate. So stand ich nach einigen Jahren erhobenen Hauptes mit weißer (Schufa-)Weste da. Und das ist gerade in Deutschland so wichtig!
Denn Studien zeigen, dass der Umgang mit dem Scheitern in Deutschland im internationalen Vergleich besonders negativ ist. In der bevölkerungsrepräsentativen Umfrage der Uni Hohenheim aus dem Jahr 2015 konnte beispielsweise festgehalten werden, dass die Deutschen zwar gegenüber Alltagspatzern durchaus Toleranz entgegenbringen, dem unternehmerischen Scheitern jedoch nicht. Über 40% gaben sogar an, von einem Unternehmer, der schon einmal gescheitert ist, eher keine Waren oder Leistungen zu beziehen! Fehler zeugen hierzulande von Unfähigkeit und die darf man sich nicht erlauben. Schon gar nicht in der Selbstständigkeit. Mit einer Ausnahme: Das größte Verständnis bringen Selbstständige untereinander auf.
Warum erzähle ich trotzdem so offen von meiner eigenen Fast-Pleite?
Inzwischen sage ich gerne, dass ich mit dieser Erfahrung eine sehr teure, aber umfassende Unternehmerausbildung gemacht habe. Neben vielen unternehmerischen Learnings habe ich aus dieser Story nämlich eine wichtige Erkenntnis mitgenommen, die ich nicht für mich behalten kann: Als Solopreneurin, Dienstleisterin und vor allem alleinstehende Frau ohne nennenswerte Vermögenswerte, darf man in Krisenzeiten keinerlei finanzielle Unterstützung erwarten. Nicht von Banken, Ämtern, Investoren oder sonstigen Institutionen. Wenn man im Prinzip nur sein Fachwissen und seinen Willen zu verpfänden hat, hat Frau nur eine Chance: Sich am eigenen Schopf aus dem Schlamassel freikämpfen!
Das betrifft so viele Selbstständige in Deutschland. So viele geraten durch verschiedenste Umstände mindestens einmal im Berufsleben in ernste Schwierigkeiten und stehen mehr oder weniger allein da. Dabei ist man nicht allein mit diesem Schicksal. Es traut sich nur kaum jemand, darüber zu sprechen und andere um Hilfe zu bitten. Aus Angst davor, dass man den Makel des Misserfolgs nicht mehr loswird und die Scham einen erdrückt.
Das muss sich aus meiner Sicht ändern, denn Scheitern gehört zum Leben dazu. Selbstverständlich auch im Geschäftsleben. Ich finde es ausgesprochen wichtig, nicht nur Erfolge zu teilen, sondern auch über die unweigerlichen Phasen der Krise (oder besser des intensiven Lernens) zu sprechen. In einer so starken Community muss man sich auch bei Misserfolgs stützen und austauschen. Keine Mompreneur soll allein mit ihrem Kummer sein! Das ist mir nach meiner eigenen Erfahrung ein Herzensanliegen.
Insbesondere in den sozialen Medien wird immer wieder propagiert, dass Selbstständigkeit total easy und die Lösung aller Probleme sei. Bisschen Instagram und Zack hat man eine Gelddruckmaschine und die ultimative Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das finde ich sehr gefährlich und erzählt nur einen Teil der Realität. Hinter jedem Erfolg steckt sehr viel harte Arbeit – und hinter jedem überwundenen Misserfolg auch.
Ich möchte mit meiner Geschichte Mut machen und auch wichtige Hinweise zu ganz realen Fallstricken wie falscher Kalkulation, fehlenden Rücklagen oder gefährlichen Verträgen geben. Ich möchte Frauen mit meiner Geschichte den Druck nehmen zu glauben, es ginge nur steil bergauf und es läge an ihnen, wenn es nicht glatt läuft. Oder sie seien schwach, wenn es alles zu viel wird. Denn das stimmt nicht. Fehler, Scheitern und Krisen gehören dazu und müssen sogar sein, um sich weiterzuentwickeln. Mein Appell: Lasst uns zusammenhalten und uns gegenseitig unterstützen, wo wir nur können! Scheitern ist unbedingt erlaubt.
Die Gastautorin:
Jasmin Möser ist Diplom-Betriebswirtin und seit 2007 selbstständige Unternehmensberaterin. Sie begleitet kleine Unternehmen sämtlicher Branchen durch schwierige Phasen. Finanzen, Organisation und Motivation sind dabei ihre Kernthemen. Ihre Erfahrung und ihr Wissen, vermittelt sie in ihrem Buch, einem Onlinekurs oder durch persönliche Beratung. Ihr Hörbuch „Die 3 Säulen erfolgreicher Führung kleiner Unternehmen“ ist für 0 Euro als Download erhältlich.
Mehr zu Jasmin: http://www.jasmin-moeser.de/